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Martin Debes
Durchdringen und Zersetzen
Staatssicherheit und DDR-Opposition in Ostthüringen 1989
(1999)
Vierzig Jahre konnten die Bürger der DDR nur ahnen, ob und durch wen sie
der vormundschaftliche Staat im Visier hatte. Doch nachdem im Winter
1989/90 die Archive des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) von Bürgerkomitees
besetzt worden waren, begann die Zeit der bitteren Wahrheit, aber auch der bösen
Verdächtigungen. Der erste frei gewählte Regierungschef einer DDR-Regierung, Lothar de
Maiziere (CDU), sollte angeblich als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit,
oder wie es schnell verkürzt hieß, der Stasi, zugearbeitet haben. Eine
MfS-Karteikarte mit seiner Adresse tauchte auf, die dem Geigenspieler de Maiziere den
IM-Decknamen Czerny zuwies. Ebenso wie der evangelische Konsistorialpräsident
und spätere Brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (registriert als IM
Sekretär) und der SED-PDS-Vorsitzende Gregor Gysi (registriert als IM
Notar) streitet de Maiziere den Vorwurf der Spitzelei bis heute ab.
Inwieweit die Anschuldigungen stimmen oder juristisch haltbar sind, tut hier nichts zur
Sache. Die Namen stehen stellvertretend für drei Zielgruppen des MfS. Maiziere war als
CDU-Mitglied Teil der Überwachung der Blockparteien. Sämtliche Organisationen innerhalb
der Nationalen Front hatte das Ministerium mit IM und Gesellschaftlichen
Mitarbeitern Sicherheit (GMS) durchsetzt.
Für Stolpe zeigte die Staatssicherheit Interesse, weil er ein hoher Beamter der
evangelischen Kirche war. Die Kirchen waren schon immer ein bevorzugtes Ziel der
operativen Arbeit des MfS gewesen, denn hier entzog sich ein großer Bereich
dem totalitären Herrschaftsanspruch des Staates. Für Staatssicherheitsminister Erich
Mielke stellten die Religionsgemeinschaften eine legale Position der feindlichen
Kräfte in der DDR (BESIER 1991, 183) dar. So kam es, daß Hunderte kirchlicher
Angestellter vom Gemeindepfarrer bis zum Oberkirchenrat von der Staatssicherheit als
Mitarbeiter angeworben wurden.
Gysi, SED-Mitglied und Rechtsanwalt, steht für die Kontrolle der Einheitspartei und die
Ausforschung einer kleinen, aber wichtigen Berufsgruppe.
Natürlich wurden auch alle anderen gesellschaftlichen Bereiche abgesichert. Vom
volkseigenen Betrieb bis zum Kegelclub, von der Grundorganisation der Freien Deutschen
Jugend (FDJ) bis zur eigenen Kreisdienststelle des MfS alle standen unter
Beobachtung. Das Ziel: flächendeckende Überwachung.
Die IM, die inoffizielle Basis der Arbeit der Staatssicherheit, waren die wichtigsten
Instrumente bei der Aufklärung aller gesellschaftlichen Bewegungen. Ihre Berichte finden
sich wieder in Operativen Vorgängen (OV) und Operativen Personenkontrollen (OPK), die
über mißliebige Personen angelegt wurden. Parallel dazu liefen Post- und
Telefonkontrollen sowie Überwachungen durch hauptamtliche MfS-Mitarbeiter. Auf
Bezirksebene wurden die gewonnenen Informationen ausgewertet, gebündelt und an die
SED-Leitung weitergegeben. Die Einheitspartei, deren führende Rolle im ersten Artikel der
DDR-Verfassung festgeschrieben war, hatte auch die Aufsicht über das
Sicherheitsministerium. Das MfS war eben nicht ein Staat im Staate, sondern
Schild und Schwert der Partei. (FRICKE 1991, 11) Oder wie es der letzte Chef
des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS), Wolfgang Schwanitz, ausdrückte: Die
Staatssicherheit war ein Organ der SED. (SCHWANITZ 1993, 3) Das MfS
verkörperte einen wichtigen, aber untergeordneten Bereich der DDR-internen Hierarchie,
auch wenn das Ministerium oft im Rückblick zum Kern des Regimes erklärt wird. Dabei war
die Staatssicherheit nur eine notwendige Randbedingung der Diktatur.
(NIETHAMMER 1997, 332)
Die wichtigste Rolle bei der Bewahrung des totalitären Herrschaftssystems spielte das MfS
als Ideologiepolizei. (MAMPEL 1996) Diese Funktion wird vor allem durch zwei
Namen repräsentiert. Mit Ibrahim Böhme, alias IM Paul Bonkarz,
Dr. Rohloff und August Dempker, stand die Wiedergründung einer
sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) von Anbeginn unter Beobachtung. Es gelang
Böhme sogar, sich zum Spitzenkandidaten für die Volkskammerwahl 1990 küren zu lassen.
Auch die Oppositionsgruppe Demokratischer Aufbruch (DA), die sich Anfang
Oktober 1989 konstituierte, hatte einen Maulwurf in den eigenen Reihen. Wolfgang Schnur,
im darauffolgenden Dezember zum Vorsitzenden des DA gewählt, lieferte als IM
Torsten dem MfS ständig Informationen.
Nachdem Schnur und Böhme im Frühjahr 1990 enttarnt waren, stellten sich brisante Fragen:
Hatte der Geheimdienst die innere Opposition unter Kontrolle gehabt? Steuerte er gar die
Bürgerbewegungen im Wendeherbst? Oder stellten Schnur und Böhme nur die vereinzelten
Erfolge einer verkrusteten Überwachungsmaschinerie dar, die ansonsten der Dynamik der
Prozesse ratlos gegenüberstand? War also der Apparat der Staatssicherheit mit
seinen spezifischen Mitteln bereits im Sommer 1989 der Situation nicht mehr
gewachsen? (STEIN, 2) Sicher ist, daß die Suche nach subversiven
Elementen seit der Gründung des MfS im Jahr 1950 die Arbeit der meisten Abteilungen
des MfS bestimmte, die ihre Erkenntnisse an die Berliner Hauptabteilung XX bzw. die
Abteilungen XX in den Bezirken weiterleiteten. Dort beschäftigen sich die Offiziere fast
ausschließlich mit der operativen Bearbeitung des Untergrunds. Durch
Einschleusung von IM und andere Mittel der Aufklärung war man dort das
läßt sich aufgrund des aktuellen Forschungsstandes sagen immer über die
Aktivitäten der bis zum Sommer 1989 relativ unorganisierten Opposition informiert. Von
Abwerbung, Ausbürgerung, Behinderung der Karriere, psychischen Terror und eindeutigen
Drohungen bis zu Inhaftierung und physischer Gewalt reichten die Disziplinierungsmethoden.
Zu den Planungen für einen möglichen Tag X gehörten sogar
Isolierungslager.
Am Tag X jedoch war alles ganz anders. Widerstandslos räumten die
MfS-Offiziere ihre Ämter und gaben die Waffen ab. Man versagte bei der Sicherung des
Regimes, der ureigensten Aufgabe des Apparates. Diese Ohnmacht resultierte freilich aus
der Handlungsunfähigkeit der SED, mit der die Staatssicherheit symbiotisch verbunden war.
Die Abhängigkeit von der staatstragenden Partei war der entscheidende externe Faktor.
Ohne die Ideologie und Anweisungen der SED funktionierte das Ministerium nicht mehr.
(RICHTER 1996, 29) Das DDR-Modell aber mußte scheitern, weil es, wie jedes totalitäre
System, die Natur des Menschen mißachtete. Mit ihm ging auch ihr Werkzeug zugrunde.
(MAMPEL 1996, 368)
Aber gab es auch eine innere Notwendigkeit für das Scheitern des MfS? Hatte die
Staatssicherheit die Lage überhaupt noch unter Kontrolle? Konnte sie im Sommer und Herbst
1989, als sich überall neue oppositionelle Gruppierungen formierten, noch IM einschleusen
und Präventivmaßnahmen ergreifen? Waren die wichtigsten Wortführer der Opposition
bekannt und wurden sie überwacht?
Am Willen zur Bekämpfung von Andersdenkenden hat es jedenfalls nicht gefehlt. Richtlinien
zur Beobachtung und Bearbeitung feindlich-negativer Personen, der
Politischen Untergrundtätigkeit (PUT) und der Politisch-ideologischen
Diversion (PID) gehörten zur Grundausbildung eines jeden hauptamtlichen
Mitarbeiters (MA). Als zu Beginn der Achtziger Jahre durch Friedensbewegung, ökologische
Gruppen und kirchliche Netzwerke die PUT an Quantität und Qualität gewann, reagierte
Erich Mielke mit der Dienstanweisung 2/85 zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung
und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit. Doch Ende 1988 konstatierten
Staatsicherheits-Offiziere in einer gemeinschaftlichen Dissertation an der Potsdamer
MfS-Hochschule: Insgesamt entsteht die Gefahr der Herausbildung einer
oppositionellen Bewegung, in der sich feindlich-negative Kräfte, reaktionäre kirchliche
Kreise, Übersiedlungsersuchende und sich neu herausbildende antisozialistische Kräfte
vereinigen.
Das Ministerium verstärkte daraufhin für das Jahr 1989 seine Aktivitäten im Bereich
PUT. Zwei Beispiele: In Berlin bildete man im Juli 1989 eine Sondereinsatzgruppe
operative Beobachtung, welche die anwachsenden feindlich-negativen
Handlungen unter Kontrolle bringen sollte. Und im Herbst 1989 bekam die
Bekämpfung Opposition absolute Priorität eingeräumt. Der Leiter der
MfS-Bezirksverwaltung (BV) Erfurt wies Ende September 1989 an, Voraussetzungen
dafür zu schaffen, ausreichend inoffiziell präsent zu sein, wenn es trotz Verboten und
Sanktionen zur Bildung oppositioneller Sammlungsbewegungen kommt. Die eingesetzten
IM sollten in der Lage sein, Formulierungsbestrebungen oppositioneller Kräfte von
innen heraus zu stören, insbesondere den Versuch zur Herbeiführung einer einheitlichen
Organisationsstruktur bzw. Dachorganisation zu verhindern, einzelne Mitglieder
bzw. Sympathisanten derartiger Sammlungs-bewe-gungen zu verunsichern, Rivalitäten
zwischen den Führungspersonen zu schüren, Angst vor Sanktionen hervorzurufen und
Ansatzpunkte für eine disziplinierende Einflußnahme herauszuarbeiten.
Opposition in der DDR die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Laut Ehrhart
Neubert waren Oppositionelle in der Regel keine Umstürzler oder fundamentalistische
Systemgegner, sondern Menschen, die auf der Grundlage verbindlicher Normen und
verbindlichen Rechts die Machtträger zur Einhaltung dieser Normen und Rechtssetzungen zu
veranlassen suchten, um deren Macht zu begrenzen. (NEUBERT 1997, 29) Neubert
unterscheidet im Rückblick zwischen:
dem Ansatz einer parlamentarischen Opposition in der Vierziger Jahren,
den Kirchen, die vor allem bis 1968 offene Kritik am DDR-Staat übten,
den vor allem in den Achtziger Jahren entstehenden sozialethischen Gruppen,
die aus der Offenen Arbeit der Kirchen entstanden,
und der politischen Opposition im engeren Sinne, die 1989 als Bürgerbewegung
oder Partei eigene Strukturen bildete. (NEUBERT 1997, 29ff).
Auch die Mitbegründer der Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) Wolfgang
Templin und Reinhard Weißhuhn meinen über die ersten dreißig Jahre der DDR-Existenz:
Im Gegensatz zu ihren mittelosteuropäischen Nachbarstaaten hatte die DDR kaum eine
Tradition oder gar Kontinuität von politischer Opposition. (TEMPLIN 1992,
148)
Wie auch immer der Begriff eingegrenzt wird, in dieser Arbeit wird der Definition des MfS
(PUT und PID) gefolgt, selbst wenn diese oft einer Chimäre galt (MAMPEL
1996). Sicher ist, daß sich seit Mitte der Siebziger Jahre eine Form politischen
Widerstands etablierte, der alle Repressionsmaßnahmen der DDR-Regierung überstand und
Ende der Achtziger Jahre zunehmend festere Strukturen entwickelte. Im folgenden soll es
vor allem um diese neuen Formierung der Opposition im Jahr 1989 und ihre unmittelbare
Vorgeschichte im Bezirk Gera, dem heutigen Ostthüringen, gehen und darum, ob und
wie das MfS die entstehenden Gruppierungen rechtzeitig erkennen, durchdringen und
zersetzen konnte.
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